SPANIEN: Sierra, Pilger, Mittelmeer, Juni / Juli 2011
Mein erster Stop in Spanien nach Frankreich war ja San Sebastian im Baskenland und selbst wenn ich das Grenzschild nicht gesehen hätte, spätestens beim Bummel durch die Stadt wäre mir sofort klar geworden, dass ich nicht mehr in Frankreich sein konnte: Dieses pralle Leben auf der Strasse, das muntere Treiben, alle Cafes, Bars und Restaurants vollbesetzt, überall fröhliche Leute, die in Grüppchen zusammenstanden oder -sassen, dies musste Spanien sein !

Die Spanier sind wirklich unglaublich, ich glaube, kein anderes Volk lebt so sehr auf der Strasse und auf den Plätzen der Städte, jeden Abend beginnt das Spektakel, der Tourist schleppt sich müde und abgekämpft nach einem Tag der Entdeckungen mit tonnenschweren Beinen Rtg. Hotel, aufrecht gehalten nur noch von dem Gedanken an eine kalte Dusche und ein Bett - und übertall kommen ihm die munteren Spanier entgegen, die Strassen quellen über, alle sind sie ansehnlich gekleidet und quietschfidel - ganze Familien - Eltern, Oma und Opa ( gerne auch mit Rollator oder Stock ), Babies, Kinder und meistens ist noch ein kleiner Hund dabei, bereit für die lange Nacht in der Stadt. So war es in jeder Stadt, wirkl. unglaublich.

Die Frage treibt mich um: Wann schläft der Spanier ?? Und: Braucht irgendeiner Fernsehen in diesem Land ?

Als ganz besonders extrem und wild gilt ja das Nightlife in Madrid, so hatte ich jahrelang immer wieder gelesen, und jetzt wollte ich Beweise sehen und wirklich, bei Tag total verschlafenen und verrammelte Strassenzüge, die aussehen wie eine verlassene Gegend erwachen gegen 23 Uhr zum Leben: plötzlich sind die Gitter oben, die Strassen voll, Verkehrsstaus um Mitternacht sind an der Tagesordnung, Parkplätze eine kostbare Rarität - und das an einem Wochentag !

Dass sich in Madrid ein solch ausschweifendes Nachtleben etablieren konnte, ist aber nach meiner Theorie dem Klima geschuldet, neun Monate des Jahres ist es einfach nur unerträglich heiss, ich konnte es mir auch nicht vorstellen, habe es jetzt aber erlebt, die Stadt ist wie ein Feuerball, kein kühler Wind, kein Meer in der Nähe, tagsüber ist Madrid einfach unbewohnbar, daher wundert es mich nicht, dass sich dort das Leben in die Nacht verlagert hat. Was macht also der bildungshungrige Tourist, der sich durch die glühende Sonne zu den Attraktionen schleppt ? Er übernimmt spätestens am zweitem Tag den geheiligten Brauch der spanischen Siesta - entwickelt ein geschultes Auge für schattige Parkbänke für ein Nickerchen, hält die Füsse in Brunnen entlang des Weges, legt sich im Prado auf den Marmorfussboden und kehrt plötzlich mit Vorliebe in die dunkelsten Restaurants ein, die zu finden sind - am liebsten im Untergeschoss - und in denen schon die ganzen Spanier sitzen, die Aircon läuft bis zum Anschlag und im Fernsehen läuft Stierkampf oder Fussball. Merke: Nur Neuankömmlinge sitzen draussen auf der Plaza zum Mittagessen !

Während ich in Madrid und der grandiosen, glühenden Mitte Spaniens, der Landschaft der endlosen, weiten Sierra gegen den Hitzetod kämpfte hatte ich im grünen Norden rund um Bilbao ( Guggenheim Museum - angucken ! ), Burgos, Oviedo und Santiago de Compostela doch tatsächlich noch mit der Anschaffung eines Fleecepullis geliebäugelt, ihn dann aber im Laden hängen lassen.

Kühle Abende wurden dort aber nicht mein grösstes Problem sondern vielmehr die unausweichliche Frage: " Und, von wo bist du gepilgert ? ". Ich war keine fünf Minuten im Hotel in Santiago d.C., da hatte ich schon Deirdre aus Irland kennengelernt, die natürlich gepilgert war und mir nach 30 Sekunden diese Frage stellte ( offensichtlich hatte sie mich nicht dabei beobachtet, wie ich mein umfangreiches Gepäck aus dem Mietwagen zerrte ). Was sollte ich antworten: " Aus dem Rheinland " ? oder: " Ooch, ich bin mit dem Wagen hier " ? Die Frage sollte mir in Santiago noch häufig gestellt werden und ich habe den Eindruck gewonnen, dass dort alle zu Fuss oder per Rad ankommen, es ist wirklich unglaublich, den Pilgerstrom in die Stadt zu beobachten, auf dem riesigen Platz vor der Kathedrale herrscht ein richtiges Gewimmel, ein stetes Kommen und Gehen, jeder lässt sich vor dem Portal fotografieren und alle scheinen sich zu kennen, ständig fallen sich Leute in Wiedersehensfreude um den Hals und reden in allen Sprachen der Welt ueber ihre Erlebnisse entlang des " Camino " .

Am meisten beeindruckt aber hat mich die Messe in der Kathedrale, in die ich zufaellig geriet: Erstmal ist die Kirche des heiligen Santiago als Ende der Pilgerreise natuerlich riesengross und dann - selbst fuer Spanien - ungeheuer praechtig ausgestattet, mit Silber und Gold en Masse, trotz der Groesse war es rappelvoll mit Pilgern aus der ganzen Welt und gegen Ende des Gottesdienstes schwang ueber unseren Koepfen ein riesiges, silbernes Weihrauchfass minutenlang hin und her und tauchte die ganze Szenerie in ein diffuses nebliges Licht - das Fass wird dabei nicht so einfach an einem kleinen Seil ein bisschen hin und hergeschwungen neben der Kanzel, nein, viel besser - es schwingt quer durch diese riesige Kathedrale, bewegt wird es durch eine Art Seilzug, an dem fünf prächtig in purpur gewandte Priester gleichmässig ziehen müssen und sich dabei jedes Mal auf den Boden werfen, damit der Mechanismus in Schwung kam - und als dann noch eine Nonne anfing glasklar das Ave Maria zu singen - da war es um mich geschehen - ich wurde kurz religiös !

Meine Route: San Sebastian / Bilbao / Burgos / Oviedo / Santiago de Compostela und Umgebung: Finisterre, Costa de la Muerte / Portugal: Porto / Coimbra / Sintra / Estoril / zurück nach Spanien: Caceres / Salamanca / Avila und Segovia / Madrid / Toledo / Cuenca / Valencia / Sitges / Costa Brava: Girona, Figueres, Port Lligat, Cadaques / Flug von Barcelona nach Ibiza